Zur Zeit stecken wir noch mitten in der Corona-Krise. Doch die Frage, wie sich Gesellschaften durch diese Krise verändern werden und, ob sie es überhaupt tun werden, beschäftigt viele Menschen. Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat in seinem viel beachteten Blog-Beitrag, der sich wie eine Utopie für eine Nach-Corona-Zeit liest, davon gesprochen, dass diese Krise eine historische Zäsur ist, nach der wir nicht mehr zu der Normalität zurückkehren werden, die wir vor der Krise als Normalität wahrgenommen haben.
Horx sieht in dieser neuen Zeit eine entschleunigte Zeit, in der Mitmenschlichkeit und Höflichkeit zugenommen haben, in der sich das Verhältnis von Technik und Kultur zu Gunsten der Kultur verschoben hat und in der die Politik wieder eine Glaubwürdigkeit erlangt hat. Kurz: in der die Dinge, die wir seit Jahren im Westen auch im Angesicht der Klimakrise diskutieren, aber gesellschaftlich nicht verwirklichen, nun zum Zuge kommen. Ich finde, in Zeiten der Krise, dürfen auch Utopien Platz haben, dennoch glaube ich nicht, dass das, was Horx erhofft, so eintreffen wird.
Wir wissen aus der Psychologie, dass Menschen in Krisen und Ausnahmesituationen zu Höchstleistungen fähig sind und dass sich bei den meisten von uns ein Aspekt unserer biologischen Entwicklung sehr gut aktivieren lässt: nämlich die Fähigkeit zur Kooperation und Hilfsbereitschaft. Es sei nur an die zahllosen freiwilligen Hilfseinsätze von Unbeteiligten bei Naturkatastrophen erinnert. Nur wird diese Fähigkeit, so die Krise vorbei ist, wieder auf ein anderes Niveau heruntergefahren und das ist ganz natürlich. Um einem Fremden zu helfen, braucht es einen konkreten und sichtbaren Grund, ansonsten würden wir uns schnell psychologisch überfordern.
Dass wir also auf Dauer signifikant empathischer und höflicher werden, nur weil wir es in der Krise vielleicht waren, dürfte eher nicht zu erwarten sein. Dazu müsste sich tatsächlich auf der strukturellen Ebene einiges verändern. Wir müssten gesellschaftlich und ökonomisch deutlich stärker kooperative Elemente betonen und nicht die kompetitiven Elemente, bei denen die Schwächeren auf der Strecke bleiben.
Je länger die Krise dauert, desto mehr Menschen werden jedoch in allen Ländern ökonomisch in immer prekärere Situationen abrutschen. Bei uns trifft es Soloselbstständige, Kulturkreative, Minijobber etc. etc., den ganzen Bereich der Gastronomie, der Hotelerie, den Tourismus, den Ladenhandel. Nun leben wir in Deutschland in einem extrem gut abgesicherten und wirtschaftlich erfolgreichen Staat, der viele Härtefälle aufzufangen versucht. Diese Rahmenbedingungen haben aber die aller wenigsten Menschen global. Bislang war ein Heer von ökonomisch Bedürftigen eher „Futter“ für den Hardcore-Kapitalismus und nicht so sehr der Ausgangspunkt für einen respektvollen und empathischen Umgang miteinander.
Ich vermute auch, dass es sich mit der von Horx angenommenen dauerhaften Entschleunigung nicht sehr viel anders verhalten wird. – Ob ein Großteil der Menschen, die jetzt mehr oder weniger ihre Zeit zu Hause verbringen müssen, das Gefühl hat, dass sich ihr Alltag entschleunigt hat, wäre zudem erst zu klären. Wer mit Familie im Home-Office arbeitet, wird diese Zeit vermutlich nicht als entschleunigt wahrnehmen. Und wer alleine lebt, wird die Zeit des Alleinseins, je länger das öffentliche Leben ausgesetzt ist, vielleicht eher als bedrückend und nicht als entschleunigt wahrnehmen. –
Weshalb ich nicht so recht daran glauben kann, dass die Nach-Corona-Zeit auf Dauer eine entschleunigte sein wird, hat mit dem Grund der Beschleunigung zu tun. Dieser liegt in der Technifizierung. Technik erleichtert uns das Leben. Oftmals verkürzen technische Entwicklungen Zeitspannen, die man für die Erledigung einer Arbeit ansonsten aufwenden müsste. Die freigewordene Zeit nutzen wir jedoch nicht primär fürs entspannte Nichtstun oder etwas, was der Muße dient, denn durch die sich immer schneller entwickelnde Technik erwachsen uns immer mehr Optionen. Mit dem Mehr an Möglichkeiten werden wir aktiver. Wir besuchen z.B. nun Freunde in anderen Städten, weil es schnelle Zugverbindung gibt. Auf dem Weg zu unseren Freunden machen wir vielleicht noch einen Zwischenstopp und besichtigen etwas. Wir nutzen, die uns zur Verfügung stehende Zeit immer effektiver (aus).
Das nennt man Zeitverdichtung. Wir erledigen in einer Zeiteinheit immer mehr und zwar nicht nur beruflich, sondern auch privat, weil wir uns davon einen Mehrwert erhoffen. Dieser Mehrwert ist zumindest im Privaten: ein abwechslungsreicheres Leben. Wir können zwar auch die Kehrseite davon erleben, dass wir uns verzetteln und von den vielen Aktivitäten gestresst sind. Aber der Reiz des Neuen und der Abwechslung scheint bei Vielen doch größere Begeisterung hervorzurufen als das entschleunigte Leben, das bewusst auf etliche dieser Optionen verzichtet. Ansonsten würden bereits jetzt viel mehr Menschen ein entschleunigtes Leben führen. Die durch die Corona-Krise erzwungene „Entschleunigung“ und Einschränkung von Optionen hätte m.E. eben nur dann nachhaltige Folgen, wenn Menschen diese Reduktion auf Dauer tatsächlich als positiv erleben und bewerten würden.
Ich glaube auch nicht, dass die Macht der Technik in Zukunft gebrochen sein wird, wie Horx es erhofft. Das Einzige, was die Isolation zuhause für die allermeisten Menschen erträglich macht, ist ja gerade die Technik und die Möglichkeit, durch unendlich viele digitale Formate entweder mit anderen in Kontakt zu bleiben, Informationen zu bekommen oder sich abzulenken. Selbst die in Deutschland noch nicht so recht in die Gänge gekommene Digitalisierung des Arbeitslebens wird nun eher einen neuen Schub erhalten als ausgebremst zu werden. Beruflich mehr digitale Formate zu nutzen, bedeutet nicht automatisch auf die sozialen Kontakte zu verzichten.
Und wenn ich lese, dass Techniker in Italien mittels eines 3D-Druckers Ventile für Beatmungsgeräte hergestellt haben, glaube ich erst recht an eine Zukunft der Technologie. Dass wir diese als Menschheit und Gesellschaft in eine positive oder negative Richtung lenken können, ist eine ganz andere Frage. Aber ohne Technologien, insbesondere im Bereich des Digitalen werden wir sicher nicht in eine bessere Zukunft einer Nach-Corona-Zeit durchstarten.
Ich hätte persönlich nichts dagegen, wenn diese Corona-Krise tatsächlich zu einer globalen Veränderung hin zu mehr Nachhaltigkeit, Rücksichtnahme und etwas mehr Entspanntheit führen würde. Ob die Corona-Krise das jedoch bewirken wird, kann ich mir aktuell nicht so recht vorstellen.