Die antiprogressive Allianz

Spätestens seit dem Wahlsieg von Donald Trump ist es offensichtlich, dass der scheinbar unaufhaltsame Siegeszug der progressiven und liberalen Weltsicht ausgebremst ist. Für das progressive Milieu war es besonders schmerzhaft zu erkennen, dass vermeintlich sicher geglaubte Wählergruppen ihnen zunehmend die Gefolgschaft verweigern. Migranten und Minderheiten wählen nicht mehr automatisch progressive Parteien, nur weil diese sich für ihren Schutz einsetzen. Stattdessen wählen auch sie Parteien, von denen sie hoffen, dass sie ihre ökonomischen Interessen und Werte vertreten. In meinem letzten Buch „Grenzwertig“ (Vier Türme Verlag 2023) bin ich u.a. auf diese Fehleinschätzung progressiver Gruppierungen eingegangen, die glaub(t)en, dass Menschen, nur weil sie zu einer Minderheit gehören, sich automatisch mit progressiven Werten identifizieren und sich für die Interessen anderer Minderheiten engagieren würden.
Die Zahl der Migranten und der Angehörigen von ethnischen Minderheiten wächst, die sogar eine protektionistisch-nationalistische Politik, die gegen ihre Gemeinschaften Stimmung macht, unterstützt. Sie glauben, dass eine Abkehr vom bisherigen wirtschaftlich-globalen Paradigma sowie ein verringerter Zuzug neuer Migranten ihre Lebenssituation verbessern könnte. Damit teilen sie zumindest partiell Interessen, die in nationalistischen Strömungen anzutreffen sind.
Das progressive-linke Milieu wiederum hat sich von seinen Ursprüngen aus der Arbeiterbewegung entfernt und ist zu einer Bewegung primär urbaner, gut gebildeter Menschen geworden. Dadurch ist ihm entgangen, dass die Feinheiten vieler seiner Antidiskriminierungsprogramme außerhalb der eigenen Blase auf wenig Zustimmung stoßen. Was ihm jedoch gelungen ist: seine Überzeugungen im öffentlichen Diskurs zu etablieren. Dies war möglich, weil überdurchschnittlich viele seiner Vertreter im Medien- und Kulturbereich arbeiten. Diese Diskrepanz zwischen der öffentlichen Präsenz von Ideen und einer echten Zustimmung scheint vielen aber nicht bewusst gewesen zu sein. Ansonsten lässt sich die Ratlosigkeit und das Entsetzen nach der Wahl von Trump kaum erklären.
Die breite Masse, die zwar vom Wertewandel der 60er und 70er Jahre durch eine stärkere Gewichtung des Individuums und durch die sexuelle Selbstbestimmung profitierte, interessierte sich vermutlich noch nie besonders für die Konzepte und Werte des progressiven Lagers. Sie akzeptierte diese, solange ihre eigene ökonomische Situation stabil war.
Mittlerweile jedoch wächst die Gruppe derer, die die Forderungen des progressiven Milieus ablehnen. Zum einen sind es Menschen für die die Antidiskriminierungskonzepte der Progressiven als ein Nullsummenspiele erscheinen: Was die eine Gruppe bekommt, verliert die andere Gruppe. Besonders junge Männer aus bildungsfernen Milieus fühlen sich als Verlierer im Wettkampf um knappe Ressourcen mit besser gebildeten Frauen und Migranten. Der soziale Aufstieg, der früher noch durch körperliche Arbeit möglich war, gelingt heute jedoch nur noch über Bildung. Gleichzeitig gelten weiße Männer im progressiven Milieu als die privilegierte Gruppe schlechthin. Da die erlebte Realität dieser jungen Männer jedoch nicht mit der Außenzuschreibung übereinstimmt, lehnen sie diese ab. Typisch männliche Eigenschaften stehen zudem schnell unter dem Generalverdacht der toxischen Männlichkeit.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass nicht nur die klassischen Verlierer der Bildungsgesellschaft die Forderungen des progressiven Milieus ablehnen. Auch Teile der konservativen Mittelschicht, Männer wie Frauen, empfinden immer mehr progressive Überzeugungen als Angriff auf ihre Vorstellung vom guten Leben. Generell gilt: Je unübersichtlicher die Welt wird, desto mehr orientieren sich Menschen am Privaten und Traditionellen. Damit sinkt die Zustimmung zu progressiven Ideen, selbst bei Menschen, die in stabileren Zeiten dafür offen waren. Dazu kommt, dass die Strategie progressiver Gruppierungen, traditionelle Familienmodelle abzuwerten, um neue Formen des Zusammenlebens zu etablieren, psychologisch unklug war. Das Gleiche gilt für den Kampf für die Rechte von Transpersonen. Der Mehrheit zu erklären, dass das biologische Geschlecht keine Rolle spielt, ist eine schlechte Strategie, um denen zu helfen, bei denen das biologische Geschlecht nicht mit der eigenen Empfindung übereinstimmt. Wer sich angegriffen fühlt, sympathisiert nicht mit den Ideen der Angreifer, sondern geht zum Gegenangriff über.
Im Lager derjenigen, die progressive Werte ablehnen, entstehen mittlerweile neue und bis dato eher ungewöhnliche Koalitionen, da sich die Ablehnung der liberalen Weltsicht eben aus vielen verschiedenen Faktoren speist. Ökonomische Gründe treffen auf Wertüberzeugungen oder persönliches Ressentiment, so dass auch sozio-kulturell und ökonomisch unterschiedliche Gruppierungen an einem Strang ziehen können. Die klassische links-rechts Aufteilung des politischen Spektrums sich aufgelöst hat. Die Rechte, die traditionell wenig in der Arbeiterschaft punkten konnte, hat die abgehängte Arbeiterschaft, junge Männer und Migranten für sich entdeckt.
Besonders bizarr erscheint die Verbindung von nationalistischen Gruppierungen, die gegen das internationale Finanzkapital zu Felde ziehen, mit libertären ökonomischen Gruppierungen und Personen, die durch den globalisierten Kapitalismus reich geworden sind. Sie wiederum verbindet ein hierarchisches, brutalistisches Menschenbild, das durch eine klare Über- und Unterordnung geprägt ist und in dem für Empathie mit Schwächeren kein Platz ist.
So können wir jetzt konservative Milliardäre zusammen mit arbeitslosen Arbeitern, Teilen von Minderheitengruppen und weißen Konservativen gegen die liberale Wertesphäre kämpfen sehen. Dass alle das gleiche Ziel vor Augen haben, ist unwahrscheinlich. Doch eines ist sicher: Die offene Gesellschaft ist anscheinend nicht so attraktiv, wie wir dachten.